Ich sah sie heute wieder
mit ihrem neuen Freund.
Mir fuhr nichts in die Glieder,
ich hab' auch nicht geweint.
Auch nicht nach innen, so wie sonst,
da war nur lächelndes Interesse.
Er hat zwei Augen und 'nen Pferdeschwanz
und sah so lieb aus, als könnt' er 'ne Messe
als Ministrant begleiten. Ich nehme an,
er ist ein ganz patenter Kerl,
und daß da zwischen ihr und ihm etwas begann
ist schön für sie und ganz normal.
Mir wurde dabei auch nichts klar.
Es war so völlig nebensächlich.
Es war nicht schlimm, nicht wunderbar,
ich fand ihn bloß ein bißchen häßlich.
Doch das ist nur mein dummer Hochmut,
ich bin ja auch nicht David Copperfield.
Ich bin froh, daß er ihr gut tut -
was sonst noch sei, davon hab' ich kein Bild.
Was sitz ich also hier und schreibe,
wenn es mich so ganz und gar nicht betrifft?
Was schert es mich, was ich hier treibe?
Mir wird's nur leichter, wenn sie mich vergisst.
Es ist halt einmal mehr, daß ich
seh'n muss, daß nichts unvergänglich ist.
Ich staune, denn ich weiß wie krass sich
ihr Schmerz erhob, als ich sie verließ.
Heut war es so normal und friedlich,
daß ich's noch kaum glauben kann.
Sogar die Liebe, sei sie noch so lieblich
stirbt dir manchmal unter der Hand.
Ich denke nur, es hätte etwas bleiben sollen,
das über Bilder und Briefe hinaus weiterbesteht.
Ich täuschte mich, wir spielen uns're Rollen
wie jeder und wissen nicht, wie weit es uns noch zieht.
Ich schreibe Platitüden über das Normale
und kann nicht aufhör'n mich zu wundern.
Das Selbstverständliche ist so brutal.
Das Wunder ist, daß wir uns nicht verbunkern.
(Dezember 1993)