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(nach Juli Zeh und Ferdinand von Schirach)

 

“Das Leben ist ein Angebot, das man auch ablehnen kann”.

Ein Satz wie ein Brett, das man vor den Kopf gedonnert bekommt. Ein Satz der betäubt, der benommen und sprachlos macht und doch schreiend nach einer Antwort verlangt. Und trotzdem herrscht danach meist eins: Stille. 

Vielleicht fällt eine Erwiderung so schwer, weil der moderne Mensch gerne dazu tendiert, den eigenen Tod aus seinen Gedanken zu verbannen, sich schnell abzulenken, sollten sie tatsächlich einmal den Pfad zu den Vorstellungen des eigenen Endes finden. 

Vielleicht aber fällt eine Antwort auch nur schwer, weil der Satz einen Schwarm an Fragen freilässt, über die man zunächst in Ruhe brüten muss. Es geht nicht bloß um die Frage, ob man sein eigenes Leben beenden darf oder nicht. Man muss sich mit grundsätzlichen Fragen auseinandersetzen, die jeder Mensch gewiss verschieden beurteilen wird: 

 

Wem gehört unser Leben?

Welche Erwartungen dürfen wir an unsere Existenz auf der Erde haben?

Wie weit reicht die menschliche Freiheit?

 

Eine objektive, eine allgemeingültige Antwort auf diese Fragen anzustreben wäre ebenso unmöglich wie fatal. Und dennoch muss die Gesellschaft zu diesem Satz klar Stellung beziehen. Und dennoch hat jeder einzelne von uns - unabhängig davon, wie er die oben genannten Fragen beantwortet - eine Aufgabe: Unseren Gegenüber davon zu überzeugen, dass man das Angebot des Lebens möglicherweise ablehnen kann, es aber nicht tun sollte. 

 

Trotzdem geht es in dieser Frage nicht per se ums Recht haben. Es geht auch nicht darum, einen Kompromiss zu finden, zu dem jeder zustimmend nickt. Wir müssen verstehen, dass eine gesellschaftliche Einigkeit in manchen persönlichen Fragen eher einer Dystopie als einer Utopie gleicht. Sie würde eine Welt bedeuten, in der die Menschen ihre eigene, innerste Meinung und Überzeugung verlieren würden – und somit den größten und stärksten Teil ihrer Persönlichkeit.

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https://archiv.poeten.de/forums/topic/37213-das-leben-ist-ein-angebot-das-man-auch-ablehnen-kann/
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Hallo!

 

Wer diesen einen Satz mit Überzeugung in den Mund nimmt, der offenbart eine psychische Störung, derer er oder sie sich selbst vielleicht gar nicht bewusst ist. Eine Antwort auf diese Aussage fällt eben genau deswegen schwer, weil eine diametrale Widerrede rein gar nichts bewirken würde.

Ich halte diesen Satz deswegen für pathologisch, weil ich mich mit ihm aus dem Leben selbst rücke. Er klingt als stünde ich wie vor einer Fleischtheke, aus der ich mir etwas aussuchen kann - oder eben nicht. Tatsächlich aber bin ich das Leben selbst. Es abzulehnen bedeutet mich selbst abzulehnen.

Würde mir ein Mensch mit diesem Satz im Munde begegnen, so könnte ich mit ihm darüber keine sinnvolle Diskussion führen, sondern müsste ihm vielmehr den Raum eröffnen, sich eingehender zu seiner Haltung zu erklären. Heilung durch reden.

Diesen Satz als gültig abzulehnen bedeutet für mich nicht, meinen unausweichlichen Tod zu verdrängen. Den kann ich durchaus wahrnehmen, indem ich mein Leben als solches akzeptiere.

Abschließend noch zu den von dir formulierten Fragen:

 

Wem gehört unser Leben? Uns selbst!

Welche Erwartungen dürfen wir an unsere Existenz auf der Erde haben? Gar keine. Zu leben und zu lieben genügt völlig. Alles weitere kommt dann von ganz allein.

Wie weit reicht die menschliche Freiheit? Bisschen schwammig, die Frage. Mein erster Impuls: Bis zu den Freiheitsgrenzen meiner Mitmenschen - wobei diese immer und immer wieder neu verhandelt werden.

Hallo @Happy Handri Hippo, na, wenn dieser Name nicht lebensbejahend klingt.

Meiner Meinung nach sollte jeder selbstbestimmt leben und sterben dürfen. Das Leben ist ein Geschenk und wir haben die Wahl, dies als solches anzunehmen oder eben für uns abzulehnen. Es kommt immer auf die Lebensumstände und jeden selbst an.

Keiner sollte sich anmaßen, darüber zu urteilen, ob die Entscheidungen eines anderen gut oder richtig sind. 

 

Liebe Grüße Darkjuls 

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Hallo @Vogelflug, weder möchte ich als radikal noch absolut und erst recht nicht als übergriffig verstanden werden. Lass mich also bitte meine Haltung zu dem thematisierten Satz präzisieren. 

Ein Satz wie eben dieser alarmiert mich nun einmal, und da reagiere ich sehr direkt. Du schreibst, dass ein Mensch, der diesen Satz äußert, ein "Leid, schier unerträgliches Leid." mit sich trägt. Das sehe ich genauso. Ich fand dafür die wohl als zu harsch aufgefassten Worte "psychische Störung". Für mich ist dieser Begriff kein Urteil, keine Diffamierung, sondern Beschreibung einer ernstzunehmende Krankheit, die therapiert werden sollte. Ich litt selbst unter einer psychischen Störung, könnte diesen Begriff also niemals als Waffe verwenden.

 

Ich denke, unser Missverständnis in dieser Sache rührt daher, dass wir beide mit diesem Satz Unterschiedliches verbinden, was vielleicht auch mit unseren Hintergründen zusammenhängen könnte. Ich vermute, für dich ist er Teil einer philosophischen Überlegung - für mich ist er aber bereits Symptom, das mich alarmiert. Einem Freund könnte ich so einen Satz nicht unkommentiert und erst recht nicht zustimmend durchgehen lassen. 

  • 2 Jahre später...

Hey Leute, ich habe bei der Suche nach dem Zitat dieses Forum gefunden und war an dieser Diskussion interessiert. Ich persönlich denke sehr oft über den Satz nach und bin erneut in meinem Leben von mehreren Seiten damit konfrontiert.

 

Ich würde grundsätzlich dem Gedanken, dass diese konkrete Wortfolge ein Hinweis auf eine psychische Krankheit unterstützen. Auch ich wurde mehrfach mit diversen psychischen Krankheiten diagnostiziert, darunter schwere Depressionen und eine Anpassungsstörung. In der Psychopathologie ist eine komplett gesund-normative Entwicklung des Egos mit dem Willen das Leben zu beenden nicht vereinbar -- was aber noch lange nicht die Validität der Aussage beeinflusst. Auf Grund meines Interessengebietes, bin ich mir durchaus der Severität einiger Symptomatiken und deren überliegenden Krankheiten bewusst, ich beziehe mich hierbei gerne auf ETA Hoffman's Sandmann oder Jung's "Über die Psychologie der Dementia Praecox", auch wenn es bei Hoffman ein Extremum zeigt.

 

Das Thema lässt mich jedoch stark an meinen philosophischen Einstellungen zweifeln. Zum einen, ist die Ablehnung des Lebens nicht vereinbar mit dem Utilitarismus (ganz alleine durch das Andauern der Folgen, welche die qualitativen (e.g. Stärke des Leidens) Differenzen durch quantitative (e.g. Länge des Leidens) ersetzen) ferner auch nicht mit bspw. dem kategorischen Imperativ nach Kant. Mit deterministischem Gedankengut würde inszinuiert, es gäbe eine Untergruppe an Menschen, welche mit ihrerer Geburt das Urteil der Beendigung des Selbst erhalten hätten -- Eine Wahrheit welche ich höchst ungerne glauben mag.

 

Ich finde hier desweiteren auch Satre's Perspektive interessant: "Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt", welche die Freiheit, nicht nur als Angebot, sondern als Urteil bezeichnet, wobei sich natürlich der Antinatalismus aufwirft; Wie kann ich verantworten einen Menschen zu zeugen? Inwieweit ist es mit der Moral vereinbar, wenn ich diese Entscheidung für eine andere Person treffe?

Natürlich denke ich, dass Antinatalismus definitiv in einem gewissen Maße problematisch, oder zumindest nicht lösbar ist: Wir können keine Kinder bekommen, wenn wir jegliche Moral beachten wollen.

 

Das hier ist mein erster Kommentar, deswegen bin ich mir nicht sicher inwiefern es ein guter Beitrag ist, oder ob ich einfach nur unnötig ein schon totes Thema wiederbelebe.

 

Ein paar Fragen, welche ich zusätzlich zu dne Fragen des OA hinzufügen würde:

Wer hat das Recht den Todeswunsch zuzulassen oder abzulehnen, oder konkreter, in welchen Fällen ist es okay einen Wunsch abzulehnen?

Wie können wir sagen, dass eine Person ausschließlich sein einziger und ultimativer Entscheidungsträger zu sein, wenn er im Vornhinein keine eigenen Entscheidung treffen konnte?

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