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  1. Ulrich Pätzold Helden unter und über der Erde – Im Berliner Polizeimuseum Der Winter im ersten Monat des Jahres 1929 bot den Berlinern ein grandioses Schauspiel. Vor ihren Augen spielte sich ein Krimi ab, der in die Geschichte eingegangen ist. Ein paar Fragmente dieses Krimis sind im Museum des Berliner Polizeipräsidenten am Platz der Luftbrücke zu besichtigen. Im Winter 1929 geschah einer der größten Coups im Leben der legendären Brüder Franz und Erich Sass, von der Öffentlichkeit fast sehnsuchtsvoll erwartet und nun tatsächlich schaurige Wirklichkeit geworden. Fotos und Berichte im Museum können die Emotionen nur erahnen lassen, die mit dem spektakulärsten Raub in Berlin die Öffentlichkeit erregte. Am 30. Januar 1929 wächst vor einer Absperrung einer Zweigstelle der Discontobank am Wittenbergplatz, Ecke Kleiststraße eine Traube von Männern und Frauen. Hälse strecken sich, als könne man irgendetwas Geheimnisvolles oder Schauerliches in der Bank erblicken. Das Raunen in der angespannten Menge ist förmlich zu hören, mit dem ungeheuerliche Nachrichten weiter gereicht werden. Es ist ein kühler und trüber Tag. Schneematsch liegt an den Straßenrändern. Die Männer tragen Hüte, Frauen dicke Mäntel und Kopftücher. Auf einigen Mündern ist ein zartes, zaghaftes Lächeln zu erkennen, Neugier steht den Menschen ins Gesicht geschrieben. Die Augen sind fest auf die Tür der Bank gerichtet, vor der Ordnungshüter Wache stehen. Nichts Genaues weiß man nicht, Gerüchte werden ausgetauscht, Vermutungen als gesicherte Informationen weiter getragen. Schier unglaubliche Sätze geistern von einem zum anderen und werden, kaum ausgesprochen und gelauscht, erregend gruselig gefühlt. Die Tat liegt schon drei Tage zurück, keiner hatte sie zunächst bemerkt. Erst an diesem Morgen ist sie Gewissheit geworden und wird nun erlebt, als dampfe noch eine heiße Spur. Was die Menschen elektrisiert, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Brüder Sass wieder zugeschlagen haben. Tatsächlich waren drei Tage vorher Franz und Erich in den hoch gesicherten Stahlraum im Keller der Bank eingestiegen und hatten 179 der 181 Schließfächer geknackt und leer geräumt. Als man schließlich drei Tage später das Deliktum in Augenschein nehmen konnte, fand man außer dem Chaos der leeren Fächer nur zwei leere Weinflaschen. Geschätzte zwei Millionen Reichsmark waren geraubt. Vielleicht waren es auch mehr. Denn in den Fächern wurde viel Geld gebunkert und gelagert, das aus zwielichtigen Quellen stammte oder unterschlagen war. Keiner sollte von diesen Schätzen wissen, schon gar nicht das Finanzamt oder die Polizei. So haben sich sehr viele der Geprellten nach dem Raub sicherheitshalber gar nicht erst gemeldet, um ihre Schäden im Einzelnen nachzuweisen. Die Sass-Brüder, so wurde in den späteren Prozessen klar, wollten nicht einfach nur Geld. Sie wollten es vor allem von denen, so behaupteten sie, die es der Allgemeinheit vorenthalten hatten. Aber von Prozessen kann noch lange keine Rede sein. Noch gibt es in den Köpfen der Schaulustigen kaum mehr, als ihnen die Fantasie vorspielt, die sich mit dem Namen Sass in wunderlicher Weise sofort regt. Das Gedränge vor der Bank wird immer größer. Keinerlei Einbruchspuren sind zu sehen, nur das rotweiße Absperrband vor der Eingangstür. Hinter den hohen Fenstern leuchtet das Licht in dem vollständig intakten Kassenraum. Noch zwei Tage lang nach dem Raub sind die Bankgeschäfte ganz normal weiter gelaufen. Keiner der Angestellten hat etwas gemerkt, was sich da im Keller im Hochsicherheitstrakt abgespielt hat. Erst Tage später stellt ein Bediensteter fest, dass die dicke Tür zum Stahlraum nicht zu öffnen ist. Sie scheint von innen blockiert zu sein. Der Bedienstete macht Mitteilung. Man rechnet mit einem technischen Defekt in der Verschlussanlage, denn es sind keine Spuren zu erkennen, die auf ein gewaltsames Einwirken auf die Stahltür hinweisen. Selbst die Spezialisten der zur Hilfe gerufenen Firma Arnheim&Tresor sind schnell am Ende mit ihrem Latein. Nichts geht, nichts ist zu machen. Die Tür ist nicht zu bewegen. Es dauert noch einmal Stunden, bis zwei Maurer einen Durchbruch der starken Betonaußenwand geschafft haben. Was sich ihren Blicken dargeboten hatte, sei unbeschreiblich, erzählte man sich draußen auf der Straße. Die Ermittlungen später ergaben, dass die Täter einen Schacht genutzt hatten, der den Raum künstlich mit Luft, also mit Sauerstoff versorgte und sich schräg nach oben schlängelte und auf dem Hinterhof der Bank endete. Die Täter hatten einen Tunnel vom Nachbarhaus in die Tiefe gegraben, der just in diesem Schacht endete. Wochenlange Arbeit war dazu notwendig. Sie hatten ihre Arbeit so perfekt gemacht, dass selbst dieses Tunnelkunststück den Ermittlern erst nach längerer Zeit der Inspektionen aufgefallen war. Um in den Schacht zu gelangen, war lediglich ein 50 mal 70 Zentimeter großes Loch gestemmt, durch das dann die Täter ihre Beute über einen relativ langen Zeitraum entsorgen konnten, gewissermaßen bei laufendem Geschäftsbetrieb. Unter den polizeilichen Ermittlern war auch der Kriminalsekretär Max Fabich. Als Sekretär war seine Stellung in der polizeilichen Hierarchie nicht gerade hoch. Aber er durfte sich als der eigentliche Spezialist in Sachen Sass empfinden, weil er gelernt hatte, deren Handschrift bei der Spurenbewertung zu lesen. Er hatte bereits über mehrere Jahre Untersuchungsergebnisse ausgewertet, die aus seiner Sicht eindeutig auf das Wirken von Franz und Erich Sass hinwiesen. Und auch jetzt am 30. Januar war sich Max Fabich sicher, dieses Husarenstück der Einbruchskunst könnten nur die Brüder Sass zustande gebracht haben. Dieses tat er auch sofort und gleichen Tages dienstlich wie öffentlich kund. So war die fiebernde Neugier der Menschen vor der Bank an diesem kalten Januarmittag als Frage zu verstehen, ob man dieses Mal nun endlich die Helden einer fantastischen Raubkriminalität fassen und dingfest machen würde. Max Fabich hatte seine Akte Sass bei der neuen Untersuchung im Keller der Discontobank am Wittenbergplatz fest im Griff und alle Indizien im Kopf, die er aus früheren Fällen dem Täterprofil der Sass-Brüder zugeordnet hatte. Seit 1927 hatte es in Berlin in kurzer Folge spektakuläre Einbrüche gegeben, deren Methoden auf gleiche Vorgehensweisen hinwiesen, obgleich am Tatort nie irgendwelche Fingerabdrücke gefunden wurden. Stets ging es um Banktresore, und stets war als Werkzeug ein Schneidbrenner der Firma Fernholz im Spiel. Der erste Einbruch geschah in der Berliner Bank in Moabit, in direkter Nachbarschaft der Wohnung der beiden Sass-Brüder. Da waren die Brüder bereits bis zu den Tresoren gelangt, mussten aber lernen, dass ihr Schneidbrenner erlahmte, wenn der Sauerstoff im Raum zu knapp wurde. Immerhin waren sie die Pioniere für dieses Instrument, das vorher noch keiner auf einem Raubzug eingesetzt hatte. Fabich war ihnen auf der Spur, weil er sie als Käufer dieses Gerätes festgestellt hatte. Aber er konnte nicht beweisen, dass sie tatsächlich mit eben diesem Instrument in der Bank hantiert hatten. Beweise fehlten ihm auch nach dem zweiten großen Versuch der Sass-Brüder, der nachts zum 4. Dezember 1927 gestartet wurde. Da hatten sie einen Tunnel zum Keller der Dresdner Bankfiliale am Savignyplatz in Charlottenburg gegraben. Die Arbeit war überaus sauber. Keine Fingerabdrücke, keine lauten Wanddurchbrüche, sorgfältiges Aufpulen der Ziegel, nicht mehr als unbedingt nötig. Doch das Werk konnte auch hier nicht abgeschlossen werden. Die Brüder beobachteten die Polizei, die sich versteckt auf die Lauer gelegt hatte. Bevor die Beamten zuschlagen konnten, hatten sie ihre Arbeit abgebrochen und waren spurlos verschwunden. Tagelang hatten die Vorarbeiten zum nächsten Bruch am 28. März 1928 im Reichsbahngebäude am Schöneberger Ufer nahe dem Gleisdreieck gedauert. Dieses Mal gruben sie sich von einem Raum im Erdgeschoss nach oben in den ersten Stock, wo der Tresor stand. Sie bohrten nachts das quadratische Loch so geschickt, dass sie es mit einer Attrappe zudecken konnten, die tagsüber bei den Mitarbeitern keinerlei Aufsehen erregte. Allerdings wurde diese Aktion durch einen Nachtwächter verdorben. Der hielt die Bohrgeräusche für Katzengeschrei und machte Licht, um die Tiere zu verscheuchen. Da waren die Brüder bereits schon wieder verschwunden. Max Fabich fand den Schneidbrenner, die Seriennummer ausgefeilt. Da wusste er, es können nur die Sass-Brüder gewesen sein. Wenige Wochen später war sich die Polizei sicher, die Brüder bei einem Einbruch in der Budapester Straße in flagranti erwischen zu können. Es gab wieder Bohrgeräusche, Bewohner waren aufmerksam geworden, die Polizei kam. Man fand wieder die typischen Wanddurchbrüche und es roch noch nach dem Brenner. Wie ein Labyrinth waren Attrappen aufgestellt. Die Sass-Brüder indessen hatten sich in Luft aufgelöst. Wenige Wochen später am 20. Mai 1928 dann ihre bis dahin spektakulärste Tat. Sie hatten sich den Tresor im Landesfinanzamt Alt-Moabit ausgesucht. In ihm ruhte im Keller ein Millionenschatz der Reichfinanzkasse als nächste Rate, die an Frankreich als Reparationskosten für den ersten Weltkrieg auszuzahlen war. Die Sass-Brüder mussten sich an zwei Wachleuten mit zentnerschwerem Gerät vorbeischmuggeln, um sich an ihre Arbeit machen zu können. Die Wachleute merkten nichts. Alles lief nach Plan, und die beiden Sass hatten den Tresor bereits aufgeschweißt. Im Wachzimmer war die Alarmanlage. Erich hatte die notwendige Aufgabe zu lösen, den Draht der Anlage durchzuschneiden. Das sollte während eines Rundgangs der Wächter geschehen. Doch unvermutet kam ein Wächter zurück. Erich konnte sich gerade noch weg ducken und die Brüder mussten wieder einmal ohne Beute fliehen. Werkzeuge, die sie zurücklassen mussten, waren für Max Fabich Beweise für seine Täterhypothese. Die reichten aber auch in diesem Fall nicht für eine Anklage aus. Auch Max Fabich hatte im Laufe der Zeit immer mehr Achtung vor der Qualität und Professionalität dieser zwei Verbrecher gewonnen. Es hatte ihn nicht überrascht, dass endlich einmal wie jetzt am Wittenbergplatz ein Raubzug mit einem ganz großen Erfolg der beiden Verbrecher enden würde. Mit innerer Bewunderung und voll Staunen registriert Fabich nun die Spuren, drei Tage nach der Tat. Dieses Mal ist alles perfekt gelaufen. Logistik und Ausführung sind noch beeindruckender als alles, was er früher zu Protokoll nehmen musste. Schnell ist sich Fabich sicher, ein solches Meisterwerk können nur Franz und Erich Sass zustande bringen. Und er ahnt, dass sie sich dieses Ruhmes auf ihre Weise brüsten werden. Denn es gibt keine Beweise, obgleich er sich seiner Vermutungen sicher ist. Keine Werkzeuge werden gefunden, keine Fingerabdrücke nicht einmal an den leeren Weinflaschen, die im Tresorraum gefunden werden. Er hat nichts in den Händen außer seiner Täterhypothese im Kopf. Mag diese auch noch so wahrscheinlich sein, der Staatsanwaltschaft reicht das nicht. Die Zeitungen schreiben fast begeistert über dieses Räuberstück genialer Krimineller. Sass ist längst ein öffentlich hoch gehandelter Name. Die Brüder sind Stars, und eigentlich sind alle der Meinung, es können nur die Brüder gewesen sein, die nun auf einer dicken Beute sitzen. Die Schaulustigen raunen sich bereits zu, man habe die Brüder fest genommen. Aber ob es dieses Mal reichen würde? Sie hatten ihre Zweifel. Im Museum ist die Geschichte Sass und die Polizei ausgestellt. Der Kriminalsekretär Max Fabich hatte alles richtig gemacht, was ein intelligenter Kriminalpolizist machen kann. Er war den Tätern auf der Spur, weil er sich in die Gedanken und Methoden versetzen konnte, mit denen die Täter ihr Handwerk ausüben. Er war sich auch sicher, dass die Täter Insiderwissen über die Anlagen ihrer Einbruchsorte haben mussten, was ohne Verbündete in den Gebäuden kaum zu erlangen war. Fabich empfand Respekt und Bewunderung für die Intelligenz und die handwerklichen Fähigkeiten der von ihm Gejagten. Sie entzogen sich ihm nicht, und er hätte sie leicht für ein Gespräch von Experte zu Experte besuchen können. Er konnte sie auch immer mal wieder für Tage festsetzen lassen. Aber er konnte nichts beweisen, was der Prüfung der Juristen mit ihren Paragraphen standhielt. So waren auch dieses Mal die beiden Brüder schnell wieder freie Männer. Zur Geschichtsschau des Sass-Falles im Polizeimuseum gehören auch zahlreiche Zeitungsartikel aus jenen Tagen. Die Gebrüder Sass erfreuten sich bester Kontakte zur Presse, gaben gerne exklusive Interviews und spielten ihre Rolle als Volkshelden perfekt. Millionen Menschen in Deutschland waren arbeitslos, Kleinkriminalität war an der Tagesordnung. Da passte ein Krimi, in dem Täter ihre Raubzüge wie Possen inszenierten, die zur Theaterbühne der großen Krise wie Märchen vom Robin Hood passten. Die im Dunklen sieht man nicht, war die Botschaft. Und man kann sie nicht fassen, war die nüchterne Realität. Es war gerade ein halbes Jahr her, dass am 31. August 1928 am Schiffbauer Damm die Dreigroschenoper von Bertolt Brecht uraufgeführt worden war. Sofort wurde sie im märchensüchtigen Berlin der 20er Jahre ein Renner. Einen Jonathan Peachum erdichteten sich die Brüder für das Publikum und schlüpften in seine Rolle. Die Dreigroschenoper wurde in wenigen Monaten zum erfolgreichsten Theaterstück der Weimarer Republik. Die Brüder Sass waren die erfolgreichsten realen Ganoven in der gleichen Zeit. Aufsehen und Aufmerksamkeit von Theater und Realität flossen in der Berichterstattung ineinander. Die Helden ließen es sich nach der Räumung des Tresorraums in der Discontobank nicht nehmen, Glamour und Selbstsicherheit in der ruchlosen Geschichte zu zeigen. Auf Zeitungsbildern sieht man sie als elegante Herren, die in den besten Etablissements der Stadt als Entertainer hätten auftreten können. Jung und bestens gekleidet schienen sie ihren Starkult genüsslich öffentlich auszuschlachten. Die Helden geben nach ihrer schnellen Freilassung mangels Beweise schon am 6. April 1929 eine rauschende Pressekonferenz, zu der sie ins vornehme Lutter&Wegner am Gendarmenmarkt einladen. Umhegt von ihrem Anwalt, der sich später das Leben nehmen wird, lassen sie all ihren Charme spielen und kredenzen den Journalisten Sekt und wohl bereitete Speisen, durch und durch Gentlemen, die eloquent die Ungerechtigkeiten dieser Welt zu beklagen wissen und von anstehenden Verträgen für fantastische Filmverpflichtungen berichten. Max Fabich sitzt dagegen in seinem eher grauen Büro. Das Polizeipräsidium von Berlin ist mitten in den 20er Jahren eine mächtige Behörde. Die brodelnde Weltstadt beflügelt die Tüchtigkeit ihrer großen Kriminalapparate. Nach Reformen und mit neuen Strukturen gilt sie als eine der modernsten Polizeiorganisationen in der damaligen Welt. Die strikte Trennung zwischen den Ermittlern, der Kripo und der Staatsanwaltschaft, sowie den Gerichten, die über die mögliche Bestrafung entscheiden, ist erst in der neueren Zeit der Geschichte Schritt für Schritt vollzogen worden. Im Museum des Polizeipräsidenten in den Gebäuden des ehemaligen Flughafens Tempelhof ist zu erfahren, dass es erst seit 1885 einen eigenen polizeilichen Erkennungsdienst gibt, in dessen Folge sich die polizeilichen Spezialabteilungen für Mord, Raub oder Einbruch entwickelt haben. Im Museum agiert die Polizei in einer ständigen Bewegung ihrer Organisationsstrukturen. Ständig ändern sich die gesetzlichen Grundlagen ihrer Arbeit. In kurzen zeitlichen Abständen muss sich die Organisation einem anderen politischen System anpassen. Immer wieder werden die Aktionsräume für die professionelle Polizeiarbeit verändert. Ein Landeskriminalamt gibt es für Max Fabich noch nicht. Schlussfolgerungen aus den Ermittlungen muss der Sekretär für sich allein ziehen. Er fühlt sich in der Polizei zwar als Einziger den Sass-Brüdern ebenbürtig. Aber er war kein Held für die Öffentlichkeit und er wird von den Medien in ihren Krimis kaum erwähnt. Max Fabich wartet auf seine Chance. Ein Kriminalsekretär hat innerhalb der Polizeihierarchie nicht viele Möglichkeiten, seine Strategien durchzusetzen, wenn sich seine Vorgesetzten sein Ermittlungswissen nicht zueigen machen. Im Falle der Sass-Brüder hat er wenig Rückendeckung in der Behörde. Die große Polizeiorganisation will nicht als Verlierer dastehen. Sie hält es für richtig, zu Protokoll zu geben, dass noch ermittelt und jeder Spur nachgegangen wird. Der selbstsichere Max Fabich ist also kein starker Mann. Als strenger Katholik weiß er zudem, dass ihm Karriere und Aufstieg verwehrt bleiben werden. Die Konfession spielt für die Personalpolitik noch eine erhebliche Rolle. Sein Ehrgeiz ist also uneigennützig, einzig in der Verstrickung in die Einbruchsfälle begründet. Aber als Einzelkämpfer schwärmt er für einen anderen Polizisten, der mit der Aura eines großen Einzelkämpfers ausgestattet ist. Für seine Arbeit hat er im Polizeipräsidium einen ranghohen Kollegen als Vorbild, der Ernst August Ferdinand Gennat heißt. Gennat ist der Star in der zentralen Mordinspektion der Stadt. Gennats Abteilung erzielt die traumhafte Aufklärungsquote von 95 Prozent, mehr als die 87 Prozent, die heute mit ungleich differenzierteren Methoden erreicht werden. Dagegen bleibt die Inspektion Raub, in der Fabich arbeitet, mit 52 Prozent weit zurück. Dieser ungleiche Erfolg wurmt ihn und spornt ihn an. Er möchte der Gennat der Aufklärung großer Raubzüge werden. Gennat genießt den Ruf, einer der begabtesten und erfolgreichsten Kriminalisten in Deutschland zu sein. Er ist ein Meister des Profiling, verfügt über ein hervorragendes Gedächtnis und hat ein ausgeprägtes psychologisches Einfühlungsvermögen. Das sind genau die Fähigkeiten, über die auch zu verfügen Max Fabich für sich in Anspruch nimmt. Max Fabich ist von sich überzeugt. Es gibt Kollegen, die empört über das provozierende Auftreten der Sass-Brüder sind und die Höflinge in den Zeitschriften und Zeitungen nicht verstehen können. „Ich könnte denen bei solchen Sektfrühstücken rechts und links in die Fresse schlagen“, hört er sie in seinem Büro wüten, wenn sie Neues aus der Presse erfahren müssen. Dann lächelt Fabich und antwortet ihnen mit einem Gennat-Satz: „Wer mir einen Beschuldigten anfasst, fliegt! Unsere Waffen sind Gehirn und Nerven!“ Er ist sich sicher, mit seinen Waffen die Täter noch zur Strecke zu bringen. Das Polizeimuseum gab es schon 1931, als Charlie Chaplin in Berlin weilt und dem Polizeipräsidium einen Besucht abstattet. Da ist der Fall der Brüder Sass noch nicht entschieden und Max Fabich wird von Chaplin sicher nicht befragt. Aber an den Besuch des Museums erinnerte sich Charlie Chaplin mit schauderndem Grausen: „Ich war dankbar, als ich das Haus verlassen konnte,“ notierte er, nachdem er die „Photographien von Ermordeten, Selbstmördern und menschlichen Entartungen und Abnormalitäten jeder erdenklichen Art“ erkundet hatte. Chaplin war zur Premiere seines Films „City Lights“ nach Berlin gekommen. Er ist ein Meister der psychologischen Dramaturgie, mit der er, durchaus ähnlich wie Bertolt Brecht, die dunklen Abgründe der Gesellschaft in den Spielstätten von Armut und Verbrechen ausleuchtet. Er ist aber auch ein großer Bewunderer der Berliner Polizei, von der er sich zu seinen Filmgeschichten inspirieren lässt. Die Geschichte von Franz und Erich Sass wäre für ihn eine hervorragende Filmgeschichte gewesen. Aber die Großen des Präsidiums reden mit ihm lieber über die Erfolge als über nicht aufgeklärte Fälle. Die Brüder Sass wären ein Chaplinthema gewesen. Der Komiker hätte lebhaft in einem solchen Film über die Wohnung der beiden Jungens erzählt, die 1904 und 1906 auf die Welt gekommen waren. Der Lohnschneider Andreas Sass und seine Frau, die Wäscherin Marie Sass hatten fünf Kinder. Die große Familie lebte auf 40 Quadratmetern im Hinterhof des Hauses Birkenstraße 57 in Moabit nahe am Kriminalgericht und dem angrenzenden riesigen Untersuchungsgefängnis. Es gab ständig kleinere und größere Delikte von Franz und Erich. Polizei und Fürsorge gehen als ständige Besucher in der Wohnung Sass ein und aus. Einbruch, das lernen die beiden Brüder sehr schnell, ist ein Handwerk, das gelernt sein will. Chaplin hätte sich viel Mühe gegeben, hinter dem rauen Kern des Alltagslebens und der schroffen Sprache der Akteure die Achtung in der Familie und in der Nachbarschaft nachvollziehbar auszumalen, derer sich die beiden Jungen in zunehmendem Maße erfreuen dürfen, je perfekter sie ihr Handwerk zu beherrschen lernen. Er hätte gezeigt, wie der soziale Respekt mit den klaren Wertentscheidungen der beiden Ganoven korrespondiert: Nimm von keinem, der zu wenig hat und teile deine Beute mit denen, die sie genauso bitter brauchen wie wir selbst. Chaplin hätte eine soziale Geschichte erzählt und nicht einfach die Figuren von Gelegenheitsverbrechern vorgeführt, die mit komischen Kunsttücken das staunende Publikum zum Lächeln verführen konnten. Er hätte auch nicht einfach einen Krimi gedreht, an dem die Spannung reizt, wie am Ende der Täter zur Strecke gebracht wird. Er hätte in eine patriarchalische Welt geführt, in der die strengen Regeln auch ganz weit unten im Miljöh gelten. Er hätte gezeigt, wie da jemand zum Helden werden kann, der Kriminalität beherrscht und sein Standesbewusstsein offen zeigen kann, weil er einen klaren Ehrenkodex als soziale Verbindung zu seinen Bewunderern aufrecht erhält. Täter einer Legende konnten die Brüder Sass nur werden, weil sie ihren Verstand und ihr Können für solche Raubzüge gebrauchten, mit denen keine Menschen physisch oder psychisch geschädigt wurden. Wenn dabei Geld verschwand, so durfte man darüber hämisch lachen, solange es nicht das eigene war. Franz und Erich Sass haben sich feiern und bewundern lassen, weil sie nichts zu verstecken hatten außer das erbeutete Geld. Sie wurden von ihresgleichen angebetet, weil die Polizei keine Beweisstücke für eine Verurteilung fand. Für alle gab es das sichere Einverständnis, dass die Sass-Brüder gerissene Raubdiebe sind. Das wusste die Polizei, das wussten die Zeitungen, das wussten die Hinterhofbewohner in Moabit, im Wedding oder in Neukölln. Aber ihnen dennoch nicht richtig auf die Schliche gekommen zu sein, das wurmte die Einen, während es die Anderen stolz machte. So konnten Franz und Erich nach dem Raub in der Discontobank am Wittenbergplatz wie Operettenkönige bei Lutter&Wegner auftreten, Meister eines räuberischen Handwerks, vor dessen Effizienz sich keiner fürchten müsse, der es mit seinem wenigen Hab und Gut nie zu einem Schließfach oder Tresor bringen würde. Charlie Chaplin verließ die Stadt ohne Filmstory der Sass-Brüder. Die aber präsentierte 2001 der Regisseur Carlo Rola, mit den starken Schauspielern Jürgen Vogel und Ben Becker in den Rollen der Brüder und Henry Hübchen in der Gegenrolle des Max Fabich. Es ist ein wunderbarer Film, der inzwischen selbst im Archiv, in einem Museum liegt. Charaktere der Geschichte sind nicht im Spiel der Leinwandakteure identisch. Aber Schauspieler wie diese drei können blendend und einfühlsam ein Gefühl für die Charaktere derer schaffen, die sie spielen. Der Kriminalsekretär Max Fabich wäre beinahe doch noch ein Polizeiheld geworden. Ganz nahe einem spektakulären Triumph muss er dann doch wieder eingestehen, verloren zu haben, ein tragischer Held. In den Weihnachtstagen 1929 spielen sich auf dem Charlottenburger Luisenfriedhof in der Nacht seltsame Dinge ab. Wieder geht es unter die Erde. Zwei Männergestalten, in der Dunkelheit kaum zu erkennen, werden von Anwohnern beobachtet, die Polizei wird benachrichtigt. Fabich bekommt die Sache auf den Schreibtisch und denkt sofort an seinen Fall. Sein Gefühl sagt ihm fast sicher, jetzt kannst du endlich zuschlagen. Vor sich sieht er schon die Schlagzeilen, dass es ihm nicht nur gelingt, die Sass-Brüder auf frischer Tat geschnappt zu haben, er würde nun endlich auch gleich noch das Versteck für das Raubgut aus der Discontobank finden. Am nächsten Tag observiert er die Stelle auf dem Friedhof, präpariert seinen Einsatz für die kommende Nacht. Für Fabich ist klar, er hat den Einstieg ganz nach der Handschrift der Brüder gefunden. Jetzt heißt es nur noch Abwarten und Zuschlagen, am besten gleich in der nächsten Nacht. Tatsächlich kommen die beiden, als seien sie mit Fabich verabredet. Der hat seine Leute hinter der Remise am Friedhofseingang versteckt. Franz schleicht sich auf den Friedhof. Nichts verrät ihm die nahen Polizisten. Aber Franz wittert sie mit einem siebten Sinn in ihrem Versteck und entdeckt die Falle. Mit wenigen Sprüngen ist er über der Friedhofsmauer und verschwindet mit Erich im undurchdringlichen Dunkel der Nacht. Fabich ist mal wieder nur zweiter Sieger. Ihm bleibt nur, das bereits weit fortgeschrittne Loch in der Erde zu bewundern. Die Wände sind säuberlich mit Holz ausgeschlagen, der Einstieg unerkennbar getarnt. Aber das Loch ist leer Die Brüder fliehen vom Friedhof geradewegs in das Büro ihres Anwalts, wo nach zwei Stunden auch Fabich mit seinen Helfern eintrifft. Der Anwalt erdichtet den Brüdern ein so perfektes falsches Alibi, dass die Polizei unverrichteter Dinge wieder von dannen ziehen muss. Nicht einmal eine Untersuchungshaft wegen Verdunklungsgefahr kommt in Frage. Ab diesem nächtlichen Treffen werden die Brüder eine Zeitlang nicht mehr in Berlin gesehen. Sie verschwinden im nun wirklichen Untergrund der Stadt, weil ihnen die Luft zu heiß geworden ist und sie erkennen müssen, dass Max Fabich nicht locker lassen wird, wenn er erstmal heraus gefunden hat, welch falsches Alibi sie ihm aufgetischt haben. Dann kommen die Nazis an die Macht und Fabich wird von ihnen kalt gestellt, nicht entlassen zwar, aber aus der Inspektion Raub in den Wachdienst abgeschoben. Franz und Erich Sass setzen sich aus Berlin ab, meiden die neuen Gauner. Sie siedeln nach Kopenhagen über. Dort versuchten sie das alte Spiel in neuer Umgebung. 1934 knacken sie den Tresor einer Zigarettenfabrik und kurze Zeit später den Tresor einer Bankfiliale. Beide Male sind sie erfolgreich. Zum Verhängnis wird ihnen etwas anderes. Sie werden wegen falscher Ausweispapiere erwischt. Man kommt ihren Raubzügen auf die Spur, kann ihnen die beiden Einbrüche anhängen. Sie wandern für vier Jahre ins dänische Gefängnis. Nach der Verbüßung ihrer Strafe werden sie 1938 nach Deutschland abgeschoben. Max Fabich hat sich nicht mehr in das Verfahren der Gebrüder Sass eingemischt. Auch als Zeuge taucht er nicht mehr in den Akten auf. Wahrscheinlich ahnt er, welchen Weg seine beiden Gegenspieler vor sich haben. Dieser Weg ist mit seinem polizeilichen Ethos nicht mehr zu vereinbaren. Am 27. Januar 1940 wird über die Sass-Brüder das Urteil verhängt: 11 und 13 Jahre Zuchthaus. Zwei Monate später werden sie der Gestapo übergeben und von Berlin ins Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt. Dort wartet der spätere Auschwitzkommandant Rudolf Höss auf die Delinquenten und lässt sie aus kurzer Hand abknallen. In das Sterbebuch des zuständigen Standesamtes Oranienburg wird eingetragen: „Auf Befehl des Führers erschossen.“
  2. 1 Ulrich Pätzold DIE SCHÖNHEIT DER NOFRETETE I. Lächelt sie noch? Schaut sie in die Ferne des großen Reiches oder gehören der Blick der unendlichen Zeit des absichtslosen Daseins? Sie erklärt sich nicht von alleine. Ihre Schönheit leuchtet in warmen Farben und vornehmen Formen, ist gegenwärtig, jenseits von Zeit und Mode, geheimnisvoll schwebend. Nein, sie lächelt eigentlich nicht. Ihre Lippen sind hart geschnitten modelliert. Das Gesicht zeigt sogar kleine Falten in der Haut unter den Augen. Das Rätsel der Schönheit teilt die Nofretete in Berlin mit der Mona Lisa in Paris. Wenn es denn ein Lächeln gibt, ist es das Lächeln der Schönheit als wahre Königin. Das zieht an und fordert Distanz. Es lässt Nähe zu, macht sich aber nicht mit dem Geschmack des einzelnen Betrachters gemein. In der Distanz aus Nähe strahlt die Macht der Königin Nofretete. Für die Berliner Museumsinsel gilt der Grundsatz: Raumgestaltung und Kunstwerke bilden eine Einheit, und diese Einheit schafft wieder ein Kunstwerk. Besonderen Ehrgeiz verbanden die Archäologen mit der 1898 gegründeten Deutschen Orient-Gesellschaft. Engländer und Franzosen hatten bereits ihren großen Musen spektakuläre Ausgrabungsfunde aus Ägypten und Mesopotamien einverleibt, und das Publikum strömte in Vorträge und Ausstellungen, in denen aus fernen Ländern und alten Zeiten anschaulich berichtet wurde, vielen nur aus der Bibel bekannt. Auch der Kaiser in Deutschland war begeistert und wollte seine Weltgeltung durch eigene Ausgrabungen glänzen lassen. Dazu fand er den genialen Mäzen, den Kunstliebhaber und Textilhändler James Simon. Simon scharte in der Orient-Gesellschaft Bankiers, Unternehmer und andere reiche Patrioten um sich und investierte vor allem sehr viel eigenes Geld. Großartige Funde kamen nach Berlin, die Prozessionsstraße und das Ischtartor aus Babylon , der Altar aus Pergamon. 1902 begannen die Grabungen des Teams um Ludwig Borchardt in Ägypten und verschlangen nie gekannte Summen Geld, 1911 fand Borchardt die Wüstenhügel, unter denen die Schätze von Amarna verborgen waren. Eine wunderbare Welt der Kunst öffnete sich. In der 18.Dynastie der ägyptischen Reichsrechnung hatten hier der Pharao Echnaton und seine Frau Nofretete ihre Hauptstadt aufgebaut. Die Grabungen mussten abgebrochen werden, als der 1. Weltkrieg ausbrach. Da waren bereits Züge voller Schätze aus dem Tell-el-Armana nach Berlin gerollt. Sie schmückten lange Jahre nicht die Museen, sondern lagerten, gut beaufsichtigt von James Simon, in den Depots oder sogar in den Wohnzimmern der Mitglieder der Orient-Gesellschaft. Man weiß über Nofretete immer noch sehr wenig und wusste vor ihrer Bergung als Kunstwerk fast gar nichts über sie. Im Neuen Museum hat sie jetzt ihr Heiligtum gefunden. Es gibt neben dieser majestätischen Büste aber noch zahlreiche weitere Funde aus Amarna, die in Beziehung zu dieser Frau stehen und über sie berichten. Die Königin war 1,58 Meter groß und zierlich. Sie hatte einen markanten langen Hals, der aus 2 den kräftigen Jochbeinen ihrer zarten Schultern wuchs. Sie hatte mandelförmige Augen, und ihre Ohren waren ziemlich klein. Ihre Lippen waren voll und elegant über dem weich gegliederten Kinn geschwungen. Ägyptisch gradlinig und dünn war der Nasenrücken, der vor allem die vielen Reliefs prägte. Sie hatte langgliedrige Finger. Und, so war das damals, sie war kahl geschoren, hatte eine Glatze, um sich vor Läusen zu schützen. Für ihr Äußeres verwendet die erhabene Königin viel Zeit. Schönheit ist ihr wichtig. Bäder, Salben, Schminken gehören zu ihrem Alltag. Sie trägt bei offiziellen Anlässen die gewaltige hochhütige Krone. Sonst trägt sie schwarze Perücken. Ihr König verehrt sie als eine außerordentlich schöne Frau. Sie verkörpert das neue Reich, stolz, selbstbewusst, charismatisch, majestätisch, erotisch. Echnaton schmückt sein Reich mit ihr. Auf den Säulen, die den nördlichsten und den südlichsten der neuen Stadt Achet-Aton markieren, lässt er über sie schreiben, damit es alle wissen sollen: „Schön von Angesicht, Besitzerin des Glücks, ausgestattet mit der Gunst zu hören, deren Stimme einen erfreut, Königin der Anmut, erfüllt von Liebe, Beglückerin des Herrschers der beiden Länder.“ Diese Beglückerin des Herrschers hatte ursprünglich einen anderen Namen. Erst als Amenophis IV., der die neue Sonnenreligion des „Aton“ gründete und sich den Namen Echnaton gab, sie heiratet, heißt sie Nofretete, was in etwa bedeutet: „Die Schöne, die da kommt“. Genau genommen heißt sie in Verbindung mit Aton „die Schöne, die da kommt, ist die Schönheit des Aton“. Sie ist die Sonnenkönigin gewesen, und jenseits der komplizierten Windungen der Sonnenreligion des Echnaton ist das heute die einfachste Vorstellung dieser Frau: Sonnenkönigin von Ägypten. Der Ausstellungsbereich im ersten Obergeschoss ist das ägyptische Herz des Museums. Hier liegen und stehen die Schätze aus Amarna. Die die in Kunst getriebenen Lichtfiguren einer kurzen Epoche der langen Geschichte des alten Ägypten leben nun wie in einem Schattenreich. Nofretete und ihr Gemahl Echnaton sind seine überragenden Protagonisten. Sie verkörpern das Reich des Aton. Verehrt wird der Sonnengott Aton, dessen einziger Sohn auf Erden der Pharao ist. Das war damals eine Dynastie der Revolution, mit der die gesamte Beamtenkaste Ägyptens im neuen Staat entmachtet worden war. Es herrschten nur noch der Gott Aton und sein Stellvertreter auf Erden, der Pharao Echnaton. Das war Im 14. vorchristlichen Jahrhundert geschehen. Doch das Sonnenkönigtum dauerte nicht lange. Nofretete überlebte wahrscheinlich ihren Mann – man weiß es nicht genau. Sie war vielleicht sogar seine Nachfolgerin, konnte aber die Macht im ägyptischen Reich nicht sichern. In ihrem neuen Museumsreich sind Echnaton und Nofretete in verschiedenen Szenen zu entdecken. Sie verstanden sich als Popstars ihrer Zeit und verkörperten den von ihnen geschaffenen Religionskult. Bereits als Amenophis IV. den Thron in Karnack bestiegen hatte, steht ihm Nofretete zu Seite. Doch dann kommt es zum Bruch mit der alten Amun-Religion der vielen Götter. Nun wird Aton als Gott der Sonne der oberste Weltenlenker, der den Ägyptern die Pharaonenfamilie geschenkt hat. Echnaton und Nofretete bauen sich eine neue Hauptstadt, die Achet-Aton im Amarnatal, Sie haben sechs Töchter, deren Namen mit -aton zusammengesetzt sind. Familienszenen voller Frohsinn und Liebe werden in Stein gehauen, und stets umhüllen die Strahlen Atons die neue Herrscherfamilie Ägyptens. Diese kurze Zeit der religiösen Erneuerung nennt man die Amarna-Epoche, und das neue Museum ist das Schaufenster und Archiv ihrer Geschichte. 3 Die auffallend hohe Position, die Frauen in der gesellschaftlichen Hierarchie im alten Ägypten eingenommen haben, ist in der Amarna-Epoche noch gestiegen. Nofretete ziert alle Symbole der Pharaonenmacht. Die blaue hohe Krone auf der Büste im Museum scheint eigens für sie geschaffen worden zu sein, ein Symbol der Regentschaft. In Kriegsszenen taucht sie als Führerin auf, sogar kultische und religiöse Zeremonien leitet sie ohne ihren Mann. Man sieht sie auf einem eigenen Thron, den die Zeichen der Vereinigung der beiden Länder Ober- und Unterägypten zieren. Soviel Macht hatte es vorher nie für die Gemahlin eines Pharaos gegeben. Dokumente überliefern, dass die beiden sechzehn Regierungsjahre zusammen verbracht haben. Wer von beiden mächtiger war, hätte Nofretete vielleicht mit dem Anflug eines Lächelns beantwortet. Was nach der offensichtlich glücklichen Herrscherzeit geschah, bleibt im Dunklen. Die Beamten betreten wieder die Bühne, die alte Religion wird wieder Staatsreligion, und alle Hinweise auf Echnaton und Nofretete mussten aus der Öffentlichkeit beseitigt werden. Selbst das Grab bleibt unbekannt, in dem die Sonnenkönigin bestattet wurde. Thutmosis, ihr künsterlischer Erschaffer, durfte ihr näher als jeder andere ihrer vielen Verehrer kommen, ganz nah, so dass er die kleinen Fältchen ihrer Augen, die Schminke und Makeup so sorgfältig zu überspielen wussten, am Ende ihrer Herrschaft gegen 1340 v.Chr. erkennen konnte. Sie hatte ihm vertraut, ihre Nähe zu seinem größten Kunstwerk zu verwandeln, mit der er ihre Unsterblichkeit sichern sollte, die durch das Wüten der Gegenrevolution in Ägypten in Gefahr war. Sie hatte Thutmosis den Atem eingehaucht, damit Atons Geist in die geschickten Hände und in die tiefste Seele dieses großen Künstlers fahre. Sie hatte ihm den Bergkristall für die Gestaltung des einen Auges in die warme Hand gelegt. Auf seine Frage, wo der zweite Kristall für das andere Auge bleibe, hatte sie ihm geantwortet: Du schaffst die Schönste für die Zeit dieser Welt. Mit diesem einen Auge bleibe ich, was ich hier gewesen bin. Aber wisse, mein Freund, wenn diese Schönheit auf Erden bleibt, geht die vollkommen Schöne in Atons Reich ein. Dort wird auch das andere Auge leuchten. Nimm dieses als Auge für die ewige Schönheit auf Erden. Mit mir nehme das andere Auge für die Liebe in aller Ewigkeit. Thutmosis ist Bildhauer. Er ist der oberste Bildhauer der königlichen Familie in Achet-Aton. Er hat Dutzende der herrlichsten Büsten und Reliefs der Aton-Erwählten geschaffen. Und er weiß, diese Nofretete wird sein Meisterwerk. Mit diesem Werk wird er selbst einen Teil ihrer Unsterblichkeit gewinnen. Wie in Trance hat er Tag und Nacht an der Büste gearbeitet, hat auf das Genaueste Berechnungen zu den Symmetrien angestellt, hat hart an den Details gearbeitet, wo er sich sonst aufs Gefühl verlassen hat, weiß sich unter der ständigen Beobachtung und Inspiration seiner großen Königin, wenn er mit spitzen Nadeln den harten Kalkstein formt und mit seinen Fingern die dünnen Stuckschichten darüber ebnet. Wie von ihrem Geist besessen arbeitet er Tag und Nacht an seiner Verehrten, hört die Ahnungen in sich und liest die Zeichen der Zeit, dass schon bald von ihr nichts auf Erden bleiben wird als diese eine von ihm zu schaffende Gestalt. Fertig sind alle gehauenen, modellierten und geglätteten Arbeiten, perfekt und makellos ist das Werk. Die Augenhöhlen hat er auf ihr Geheiß im nackten Stein gelassen. Von der Königin hat er sich die kostbarsten Schätze ihrer an Farbsubstanzen so reichen Sammlung geben lassen. Er hat mit ihnen Experimente auf dem Stein und auf dem Gips gemacht. 4 Nun ist in der Werkstatt nur noch Stille und Konzentration. Seine Helfer hat er nach Hause geschickt. Öllampen werfen ein weiches Licht. Alles liegt in seiner Hand. Vorsichtig stellt Thutmosis die zwanzig Kilogramm schwere Büste auf seinen Tisch in der Mitte der Werkstatt, gleichmäßig ausgeleuchtet von allen Seiten. Langsam und mit äußerster Vorsicht trägt er nun die Farben auf, schminkt seine Königin wie eine Geliebte. Als erstes malt er mit blau und weiß. Dann mischt er mit weiß auf blau. Als dritte Schicht verwendet er gelb. Dann kommt das Blau für ihre Krone und als Grundton für die herausgehobenen Teile des Gesichts. Am Ende und als fünfte Schichte färbt er das Rot über den Stein und den Gips. Den Bergkristall nimmt er, in den er eine feine Iris eingeritzt hat. Die Einlegstelle im rechten Auge hat er mit schwarzer Farbe unterlegt. An ihr befestigt er den Kristall mit Bienenwachs. Während der langen Arbeit hat er peinlich genau darauf geachtet, die linke leere Augenhöhle nicht zu berühren. Sie ist tabu für ihn und gehört einzig der Sonnenkönigin für ihre Reise außerhalb dieser Welt. Als nun alles vollendet war, kommt die Königin in seine Werkstatt und sieht, dass alles gelungen ist. Da fragt Thutmosis seine Herrscherin: Wohin soll ich die Schönheit stellen, damit alle Menschen in ehrfürchtiger Bewunderung stehen bleiben, gebannt von der Königin? Da überfällt das Gesicht der Nofretete tiefe Traurigkeit. Sie stellt sich hinter ihr Abbild und sagt: Sie werden mich nicht dulden und werden versuchen, alle Spuren meines Lebens zu vernichten. Doch wie Aton ewig ist, wird auch dieser Stein ewig sein. Verbirg ihn, dass kein Unheil ihn zerstören kann. Du wirst aus Liebe zu mir den Weg für meine irdische Unsterblichkeit finden. Die Königin ist gegangen, und er wird sie nie wieder sehen. Thutmosis hat so viele Arbeiten in seiner Werkstatt. Er zweifelt nicht, dass seine Zeit bald vorbei sein wird. Ein Sturm wird ausbrechen, doch seiner kleinen Hütte wird nur die geringste Achtsamkeit gelten. Er bedenkt, wie Sturm und Sand über seine Werkstatt einbrechen werden, um die Wände und Regale mitsamt allen seinen Werken zu begraben. Er baut ein Brett auf halber Höhe der Wand, die sich schon jetzt ein wenig neigt. Darunter bereitete er wie ein Nest aus weichem Reisig ein Lager. Er berechnet den Sturz der Büste in der zusammenbrechenden Werkstatt und ist sicher, dass seiner Sonnenkönigin nichts geschehen kann, wenn sie vom Brett in die weiche Nestmulde fällt und dann von den Sandwogen zugedeckt werden wird. Er verneigt sich noch einmal vor ihr und verlässt seine Hütte, bevor die großen Verwüstungen beginnen. Die dritte Grabung von Ludwig Borchardt im Tell-el-Amarna fand vom November 1912 bis zum März 1913 statt. Im Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit stand ein bisher übersehener kleiner Hügel, unter dem offensichtlich ein Haus gelegen haben musste. Der Hügel erhält die Markierung P 47,2. Borchardt findet heraus, dass es die Werkstatt des legendären Bildhauers Thutmosis sein muss. Am 6. Dezember, Nikolaustag 1912, gelingt der Einstieg in den Raum 19 der Grabung. Dort findet Borchardt im Schummerlicht auf dem Boden im Sand liegend unversehrt die Büste der Nofretete. Borchardt führt über die Grabungen gewissenhaft Protokoll. Ihm stockt der Atem, und der erste Blick überwältigt ihn. Er reibt sich die Augen und notiert kurz: „Arbeit ganz hervorragend. Beschreiben nützt nichts, ansehen.“ Er findet sie in der Position 7, eine „lebensgroße bemalte Büste der Königin, 47 cm hoch.“ Finanziert wurden die Grabungen durch James Simon. Er hatte einen Vertrag mit der Orient-Gesellschaft abgeschlossen, nach dem er Besitzer aller Funde des deutschen Anteils der Grabungen werden solle. Die Regelungen in Ägypten sahen vor, dass eine Kommission, in der vor allem Engländer und Franzosen das Sagen hatten, die gefundenen Gegenstände zu 5 taxieren hatten, bevor sie zu gleichen Teilen der ägyptischen Altertumsverwaltung und dem Ausgräberland zugesprochen wurden. Borchardts Geschick vor der Kommission bestand darin, den Wert der Büste runter zu reden und die anderen Funde, die er gemacht hatte, hoch zu jubeln. Tatsächlich kam es zur ordnungsgemäßen Teilung, und Nofretete konnte eingepackt und nach Deutschland verfrachtet werden. Der Streit um den rechtmäßigen Besitz, Ägypten oder Deutschland, begann mit ihrer Ausstellung 1924 im Neuen Museum. Der Streit hält politisch in diplomatisch immer neuen Gewändern bis heute an. Rechtlich ist die Lage eindeutig. Die Verhältnisse damals bestimmte allerdings die europäische Kolonialpolitik. Entführt oder ausgeführt: Die ägyptische Nofretete wurde Berlinerin. In ihre neue Gastbehausung ist sie erst spät gekommen und hat in ihrer neuen Zeit schon wieder viel erlebt. II. 2250 Jahre ruhte die Schöne im Sand von Amarna, bevor sie 1913 nach Berlin reiste, wo sie für ein bewegtes Leben in immer neue Machtspiele verwickelt wurde. Erst am 16. Oktober 2009 bezog sie wieder ihren angestammten Sitz im Neuen Museum und schaut nun voller Selbstbewusstsein weit hinüber bis ans Ende der Bibliothek zum griechischen Sonnengott, der 1500 Jahre jünger ist als sie. Ins Museum kam sie 1913 noch lange nicht. Sie zierte zunächst die Villa von James Simon, die er im Tiergarten auf einem weiten Grundstück hatte, auf dem heute die Landesregierung von Baden-Württemberg residiert. Erst 1920 übergab er die Sonnenkönigin als Schenkung an den Freistaat Preußen für die Ägyptische Abteilung des Museums, wo sie allerdings erst ab 1924 öffentlich ausgestellt worden ist Schnell wird die Schöne zum Idol der neuen Zeit in der Weimarer Republik nach dem verheerenden Krieg. Frauen eifern ihr mit Schminke und Makeup nach. Die Presse gewöhnt sich an, sie als die schönste Berlinerin zu titulieren. Berlin ist jedenfalls nach dem Sturz des Kaiserreichs entzückt von ihrer neuen Königin. Sie kommt gerade zur rechten Zeit in das Licht der Öffentlichkeit. So zart, so kühl, so schmal und ein wenig androgyn – das ideale Vorbild für die neue Mode. Auch in den Theatern und in der Malerei steht sie Pate. Greta Garbo wird Nofreteteikone. Man hat eine ägyptische Königin, steinalt und doch jenseits von Raum und Zeit supermodern. Die Herrschaft der neuen Königin dauert nicht lange. Schon zu Beginn des zerstörerischen zweiten großen Kriegs des Jahrhunderts verschwindet sie in einer Kiste in den Tresor der Reichsbank am Gendarmenmarkt. 1941 wird es auch dort zu heiß, und die Kiste wird in einen Flakbunker am Zoo gebracht. Im März 1945 wandert sie dann tief in den Salzstollen im thüringischen Merkers. Da holen sie die Amerikaner bereits nach zwei Wochen wieder raus und schleppen die Kiste in die Reichsbank nach Frankfurt. Die Kiste hat nun die Aufschrift „Die bunte Königin.“ So kommt sie als bunte Königin in die Kunstsammelstelle, die in Wiesbaden von der US-Armee eingerichtet worden war. Dem Kunstschutz-Offizier Walter Farmer ist es zu verdanken, dass sie nicht die Fahrt über den Ozean in die Vereinigten Staaten antreten muss. Stattdessen schickt sie der Amerikaner Farmer ins Landesmuseum Wiesbaden. Erst im Juni 1956 darf sie ihre Heimreise nach Berlin antreten, ein Triumphzug. In den Osten auf die alte Museumsinselsoll kann sie nicht ziehen. Sie findet einen Platz in der Gemäldegalerie in Dahlem, die damals noch an der Fabeckstraße in Dahlem residierte. 6 Im Oktober 1967 wird das Ägyptische Museum in Charlottenburg mit den westlichen Restbeständen des ehemaligen Neuen Museums eröffnet, nun wieder mit Nofretete in der Mitte. 1992 kommt die alte Schöne in die Klinik zur Generalüberholung, danach geht es wieder zurück nach Charlottenburg. Ein paar Tage ist sie dann 2005 Star der Ausstellung Hieroglyphen um Nofretete im Kulturforum hinter dem Potsdamer Platz. Auch ein kurzes Gastspiel im Alten Museum darf die Sonnengöttin noch absolvieren, bis sich endlich der Reigen wieder schließt und sie mit neuer Kraft ihren alten ruhigen Platz der Zeitlosigkeit im Neuen Museum einnehmen darf. Die Geschichte als Vergangenheit birgt eine Unendlichkeit an Beziehungen zwischen Orient und Okzident. Über solche Spielereien der Gedanken mit Blick auf die Menschen in ihrem Gesichtsfeld mag die Sonnenkönigin nicht einmal müde lächeln. Kopf und Hals hat sie nicht nach vorne geneigt, um dem Raunen und Flüstern ihrer vielen Verehrer zu lauschen. Diese Haltung der Zuwendung ist vielmehr der Tribut an die Ewigkeit, mit der sie, die perfekt symmetrisch erschaffene Kunstfrau, Gewicht und Ausdruck statisch am Leichtesten erhalten kann. Für diese Statik ist sie ihrem Schöpfer immer wieder dankbar. Wie hätte sie sonst die Jahrhunderte im Sand überleben können, wie die strapaziösen Reisen, ihre Versenkung in Kisten und ihre stets neuen Sockelbetten und Audienzen bewältigen sollen? Nein, ihrem Thutmosis bleibt sie ewig und immer aufs Neue dankbar. Er hatte verstanden, was Echnaton meinte, als er sie die Beglückerin des Herrschers nannte und schön von Angesicht. III. 1913 hat es in der Museumsgeschichte einen spektakulären Fall gegeben. Vierhundert Jahre ist das 77 mal 53 Zentimeter große Bild alt, das als das größte Museumswerk aller Zeiten bis Dezember 1911 im Pariser Louvre zu besichtigen war, die Mona Lisa von Leonardo da Vinci. Es wurde geklaut, war plötzlich verschwunden. Jede Spur von Mona Lisa oder ihrem Dieb fehlte. Der dreiste Einbruch schien perfekt gelaufen zu sein. Im Herbst 1913 spitzte sich die fieberhafte Suche zu, und die Zeitungen waren voller Spekulationen über das Räuberstück. In dieser hektischen und nervösen Vorkriegszeit tauchte der spektakuläre Fall der Nofretete fast unter. Von der Königin in Ägypten redete kaum jemand, als im Dezember 1913 in Florenz ein Brief auftauchte. In ihm meldete sich der neue Besitzer mit der Bemerkung, das Bild gehöre nach Italien, da es von einem Italiener geschaffen worden sei. Er wolle diese Mona Lisa seinem Land wieder zurückgeben. Der Mann suchte Kontakte, und bald flog die ganze Geschichte auf. Sie war die Tat eines glühenden Nationalisten. Im italienischen Parlament kam es zu opernreifen Szenen, und erst am Ende des Monats überquerte Mona Lisa unbeschädigt die französische Grenze, um wieder im Louvre zu residieren. Diese Aufregungen beherrschten die Öffentlichkeit gerade zu dem Zeitpunkt, als in Ägypten der spektakuläre Fund gemacht wurde. James Simon ist ein weitsichtiger Mann. Er weiß einzuschätzen, was die Bergung der Nofretete bedeuten kann. Er hat ein Gespür für die heraufziehenden Muskelspiele der europäischen Großmächte, die geradewegs in den Krieg führen, auch in den Orient. Eingedenk der Verwicklungen, die der Fall der Mona Lisa nach sich gezogen hat, hält er es für angebracht, die Nofretete nicht in das grelle Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit zu rücken. Das, so glaubt er, gelingt am besten, wenn er die 7 Büste auf seinen häuslichen Schreibtisch stellt. Keiner soll lauthals die Frage stellen, wie die schöne Königin nach Berlin kommen konnte. „Beschreiben nützt nichts, ansehen“, hatte Borchardt ausgerufen. Simons Wohnung ist ihr bestes Versteck. Ab Januar 1914 steht sie nun da und verbirgt sich unter dem Kanonendonner des Krieges. Borchardt hatte gewarnt, die Verhandlungen über die Aufteilung der Schätze in Ägypten seien derartig schwierig geworden, „dass jede überflüssige Demonstration von Funden schädlich wirken kann.“ Der Kaiser schwärmt zwar über diese Kostbarkeit. Am liebsten hätte Seine Majestät die Königin an seiner Seite. Doch er erhält 1913 nur eine Kopie und kümmert sich im Übrigen lieber um das Säbelrasseln gegen Frankreich. Der 1. Weltkrieg kommt, und es wird still um die Nofretete im Haus von James Simon. Mit Grabungen in Ägypten ist für die Deutschen Schluss, und nach dem Krieg gibt es andere Sorgen. James Simon schenkt 1920 seine große Renaissancesammlung und alle Amarnaschätze dem preußischen Staat in der neuen deutschen Republik. Wenige Jahre später ist dieser große Mäzen und ebenso große Menschenfreund, der riesige Geldbeträge für soziale Projekte gespendet hat, ein armer Mann. In der großen Inflation von 1923 hat er jeden Besitz verloren. Die Liebe seiner Königin ist ihm geblieben.
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